Marburg, Cranmer und die wirkliche Gegenwart Christi im Abendmahl
Die Spaltung der Reformatoren beim Marburger Religionsgespräch 1529 über das Abendmahl ist eine bekannte, aber auch heute noch schmerzliche Tatsache. Ein aufschlussreicher Artikel auf der Webseite anglicanism.info beleuchtet die Hintergründe dieser Debatte und stellt die klassisch-anglikanische Sichtweise von Thomas Cranmer vor. Diese Perspektive bietet eine theologische Tiefe, die für Christen heute von großer Bedeutung ist, da sie die Frage nach der wahren Gemeinschaft mit Christus im Sakrament beantwortet.
Der Artikel erinnert daran, dass sich in Marburg die Positionen von Martin Luther und Ulrich Zwingli unversöhnlich gegenüberstanden. Luther vertrat eine leibliche, reale Gegenwart Christi in Brot und Wein, die selbst von Ungläubigen empfangen wird (manducatio indignorum). Für Zwingli hingegen war das Abendmahl eine reine Gedächtnisfeier, deren Verbindung zu Christus durch den Glauben und die Vorstellungskraft hergestellt wird. Zwischen diesen Polen, so der Autor, entwickelten die Reformatoren der nächsten Generation wie Johannes Calvin und Thomas Cranmer einen Mittelweg (via media), der tief in der Rechtfertigungslehre verwurzelt ist.
Thomas Cranmer, der Erzbischof von Canterbury, lehrte, dass Christus im Abendmahl geistlich, nicht körperlich, gegenwärtig ist. Der Grund dafür liegt in seiner Himmelfahrt: Sein Leib ist zur Rechten des Vaters und nicht an vielen Orten auf der Erde zugleich. Die wirkliche Gegenwart Christi wird daher nicht im Mund, sondern im Herzen durch den Glauben empfangen. Der Artikel fasst dies treffend zusammen: „Für Calvin und Cranmer ist die wirkliche Gegenwart Jesu im Herzen und in der Zuneigung derer, die die Gnade, die geistliche Gegenwart Christi, durch den Glauben empfangen.“ Christus wird objektiv dargeboten, aber seine Gegenwart wird nicht automatisch und ohne Glauben empfangen. Artikel 28 der Neununddreißig Artikel formuliert es so, dass der Leib Christi nur „auf eine himmlische und geistliche Weise“ empfangen wird, und das Mittel dazu ist der Glaube.
Besonders erhellend ist der Verweis des Artikels auf die neuere Forschung von Dr. Ashley Null, die zeigt, wie stark Cranmer vom Kirchenvater Kyrill von Alexandria beeinflusst war. Kyrills Christologie betont die ungetrennte Einheit von Gottheit und Menschheit im verherrlichten Christus. Für Cranmer bedeutete dies: Da Christus als ganze Person in den Himmel aufgefahren ist, verbindet uns das Abendmahl im Glauben durch die Kraft des Heiligen Geistes mit dem ganzen Christus in der himmlischen Herrlichkeit. Dr. Null wird mit den Worten zitiert: „Der eigentliche Fokus des Sakraments war nicht die Verwandlung der Elemente, sondern des menschlichen Willens, durch die Vereinigung mit Christus durch den vom Geist gewirkten Glauben.“
Die hier dargelegte reformiert-anglikanische Abendmahlslehre ist mehr als ein historischer Kompromiss; sie ist eine zutiefst christologische und biblische Position. Sie bewahrt sowohl die Realität der Gegenwart Christi als auch die Wahrheit seiner Himmelfahrt und betont die entscheidende Rolle des Heiligen Geistes und des Glaubens. Für Christen, die zwischen einer rein symbolischen und einer quasi-physischen Deutung schwanken, bietet diese Sicht eine reiche, evangeliumszentrierte Alternative, die den Gläubigen zur Gemeinschaft mit dem ganzen, verherrlichten Christus in der Höhe führt.
Der ursprüngliche Artikel ist hier zu finden: https://www.anglicanism.info/writing/marburg-real-presence-and-t-cranmer
