Metamoderne Spiritualität: Herausforderung und Chance für die Kirche
Die Art und Weise, wie insbesondere jüngere Menschen heute zum Glauben finden und ihn leben, hat sich grundlegend verändert. An die Stelle eines kohärenten, von einer Generation zur nächsten weitergegebenen Glaubenssystems tritt oft eine selbst zusammengestellte Spiritualität. Ein aktueller Artikel beleuchtet diesen kulturellen Wandel, den er als „Metamodernismus“ bezeichnet, und zeigt darin eine ernste pastorale Herausforderung, aber auch eine tiefe evangelistische Chance für die Kirche auf.
Der Artikel beschreibt die zentrale Herausforderung als eine neue Form des Konsumdenkens: die „maßgeschneiderte Spiritualität“. Anstatt ein geschlossenes Glaubenssystem anzunehmen, stelle man sich heute seinen Glauben à la carte zusammen: „ein wenig Baptistentheologie, ein wenig anglikanische Liturgie, ein Schuss katholische Ästhetik und ein Spritzer pfingstlerischer Gottesdienste.“ Besonders prägnant sei das Phänomen der „ästhetischen Konversion“. Der Autor berichtet von einer anglikanischen Gemeinde, die hauptsächlich aus ehemaligen Baptisten bestand. Als der Pfarrer jedoch die Möglichkeit der Kindertaufe ansprach, fand er keine Interessenten – die neuen Gemeindeglieder hielten an ihrer baptistischen Taufüberzeugung fest, obwohl sie sich bewusst für eine anglikanische Gemeinde entschieden hatten. Sie schätzten die Form, aber nicht die dahinterstehende Lehre.
Der Autor führt dies auf den von Charles Taylor beschriebenen „Nova-Effekt“ zurück – eine Explosion an spirituellen Optionen, die uns im Internetzeitalter permanent begegnen. Dies führt zu einer Haltung, in der man die eigene Realität und somit auch den eigenen Glauben selbst kuratiert.
Die Tage kohärenter Glaubenssysteme, die wir von unseren Eltern erben, sind vorbei. Die Tage einer stabilen religiösen Zugehörigkeit über die Zeit hinweg sind vorbei. Wir haben einfach zu viel gesehen.
Doch neben dieser Herausforderung sieht der Artikel eine ebenso große Chance. Die postmoderne Skepsis und Ziellosigkeit erweisen sich für viele als unerträglich. Daraus erwachse eine neue Sehnsucht nach (1) einem Fundament der Wahrheit, (2) einem Ziel (Telos), auf das man hinarbeiten kann, und (3) einem moralischen Rahmen für ein gelingendes Leben. Diese Suche nach Wahrheit sei jedoch gepaart mit einem tiefen Misstrauen. Metamoderne Menschen seien sich „hyper-bewusst, wie Menschen ‚Wahrheit‘ als Waffe der Kontrolle nutzen oder heuchlerisch Wahrheit vertreten, ohne sie zu leben.“ Deshalb seien Integrität und Demut seitens der Kirche entscheidend. Ebenso müsse der Wunsch, Gutes zu tun und „zu bauen“, im Evangelium verwurzelt sein – in einer Identität, die man in Christus empfängt, nicht durch Werke erwirbt.
Diese scharfsinnige Analyse zeigt, wie tief das Konsumdenken unsere Haltung zu Gott und Kirche prägt. Das Evangelium aber ruft uns nicht als Kunden zu einem spirituellen Marktplatz, sondern als Jünger zu Christus, der selbst der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Für konfessionelle Kirchen in Deutschland, auch für uns als Anglikaner, liegt die Aufgabe darin, Menschen geduldig in die Schönheit des ganzen Glaubenssystems einzuführen und zu zeigen, wie Lehre, Liturgie und Leben aus der Gnade Gottes erwachsen und untrennbar zusammengehören. Die im Artikel beschriebene Sehnsucht nach Wahrheit ist eine vom Heiligen Geist gewirkte Chance, Christus nicht als eine weitere Option, sondern als den Herrn vorzustellen, der in Liebe unseren ganzen Menschen beansprucht.
Der vollständige Artikel ist bei The Gospel Coalition zu lesen: https://www.thegospelcoalition.org/article/challenge-opportunity-metamodern-christianity/
